PERSPEKTIVEN

Castro ante portas

TEXT UND BILDER: THOMAS KLIEGEL


Ausgerechnet nach Argentinien trieb es den 76-jährigen Fidel Castro kürzlich. Eine durchaus wertvolle Entscheidung, wie sich auf seiner ersten Auslandsreise seit der Bekanntgabe der Erschießungen und hohen Gefängnisstrafen von Dissidenten im April herausstellen sollte.

Castro reiste am argentinischen Unabhängigkeitstag, dem 25. Mai, zur Amtseinführung des neuen Präsidenten Nestor Kirchner an. Zusammen mit dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez und dem brasilianischen Staatsoberhaupt „Lula“ da Silva gehörte er zu den meistgefragten Gästen. Schon während der Amtseinführung wurde sein Auftreten frenetisch bejubelt. Mit dieser Welle der Unterstützung im Rücken entschloss er sich am folgenden Tag, eine Rede in der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universidad de Buenos Aires (UBA) zu halten.

Die Veranstaltung wurde von der kubanischen Botschaft zusammen mit einem Komitee der UBA organisiert. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass sich die Veranstalter völlig übernommen hatten. Schon am frühen Nachmittag sammelten sich Menschenmassen vor dem eindrucksvollen Gebäude der Fakultät, das einem griechischen Tempel nicht unähnlich sieht. Der Festakt mit Castro sollte eigentlich um 19 Uhr im Sala de Actos im Inneren der Fakultät stattfinden. So wurden an ausgewählte Gäste Eintrittskarten verteilt, mit denen man den Ansturm regulieren wollte. Auch an einige Studenten gelangten Karten. Doch waren schon um 17 Uhr sämtliche Eingänge von Menschenmassen versperrt, die gegen die Türen drängten und versuchten unter gemeinsamen Schlachtgesängen in den Saal zu gelangen („Entramos todos, la puta madre que lo parió“). Das Ganze ging dann natürlich auch nur unter einigen Sachbeschädigungen, Verletzungen und wenigen gewalttätigen Auseinandersetzungen von statten. Zum Glück waren nur Befürworter Castros gekommen, das heißt die kommunistischen Parteien und die militante linke Studentenbewegung. So verwunderte es auch nicht sehr, dass kurze Zeit später die Saaltüren gestürmt waren und sich die Menge in den Saal ergoss. Die Organisation war damit völlig gescheitert. Als man dann hörte, Castro werde gegen 21.00 Uhr erwartet, bot man der Menge an, die Veranstaltung auf Leinwand ins Freie zu übertragen, die sich aber, einmal im Saal, zu nichts überreden ließ. Als Castro schließlich kam, erschien es unmöglich, ihn in den Saal zu befördern, Castro jedoch, der aufgrund des emotionalen Empfangs unbedingt sprechen wollte, entschloss sich direkt auf der großen Eingangstreppe der Gebäudes zu sprechen. Trotz aller Sicherheitsbedenken sprach er zweieinhalb Stunden unter der großen Begeisterung seiner Anhänger. Die Polizei hatte währenddessen sämtliche Zufahrtsstraßen gesperrt.

Dieser Sturm der Begeisterung für einen Mann wie Fidel Castro in Argentinien lässt sich zurzeit leicht erklären. Das Land steckt in der größten Krise seiner Geschichte und viele Menschen leben mittlerweile in Armut. Über Kuba hält sich jedoch hier die Legende, dass die Menschen dort wenigstens zu Essen hätten. Außerdem darf man nicht vergessen, dass Che Guevara der Revolutionsbruder Castros, der dann später in der bolivianischen Revolution von Armeetruppen erschossen wurde, Argentinier war, also die Argentinier von Natur aus an den kubanischen Geschehnissen Anteil nehmen. Dazu kommt die kubanische Dauerfehde mit den Vereinigten Staaten, die hier ebenso wenig beliebt sind.

Castro sprach in seiner – für seine Verhältnisse kurzen - Rede über die argentinische Bestätigung der kubanischen Revolution und sparte sich auch nicht gezielte Angriffe auf den im zweiten Wahlgang der argentinischen Präsidentschaftswahlen nicht mehr angetretenen Carlos Menem, der eine neoliberale Position vertrat: „Die neoliberale Globalisierung hat einen schweren Schlag erhalten. Ihr könnt den Dienst nicht einschätzen, den ihr Lateinamerika und der Welt geleistet habt, als ihr das Symbol der neoliberalen Globalisierung [Menem] in den Fluten des Pazifiks versenkt habt.“ (Mit Kirchner wurde in Argentinien ein Präsident gewählt, der klar für eine soziale Politik eintritt.)

Er geizte auch nicht mit Angriffen auf die Vereinigten Staaten, denen er vorwarf, eine nazifaschistische (?) universale Tyrannei zu installieren. Währenddessen skandierten die etwa 5000 Anhänger Castros „Olé, Olé, Olé, Fidel, Fidel – Bush, fascista, vos sos el terrorista“ (Bush, Faschist, du bist der Terrorist). Er sprach natürlich auch über Armut, Analphabetismus und die Blockade Kubas. Dazu verteidigte er die Hinrichtungen der Dissidenten, die er als gemeine Verbrecher beschrieb, die lediglich die verdiente Strafe erhalten hätten. Begeisterung brach aus, als er auf Bitten der Menge begann, über Che Guevara zu sprechen. Ein Meer aus roten Fahnen mit dem Konterfei des Revolutionärs begleitete seine Worte über den Weggefährten. Er schloss seine Vorstellung mit der üblichen Formel: „Venceremos. Hasta la victoria siempre.“ (Wir werden siegen. Immer bis zum Sieg.).

Alles in allem also eine typische Castro Veranstaltung, auch wenn die Stimme und die Gestik nicht mehr so kraftvoll sind, wie sie einst waren, doch ist seine Wirkung auf Menschen weiterhin unbestritten. Jedenfalls kann er jetzt gestärkt nach Kuba zurückkehren, wo ihn die eigentlichen Probleme erwarten. Man darf auch nicht verkennen, dass es durchaus auch kritische Stimmen am Auftritt des Diktators, der mittlerweile 44 Jahre in Kuba  regiert, in Argentinien und speziell in der rechtswissenschaftlichen (!) Fakultät gab. Jedoch scheinen sich diesmal noch die Rückwärtsgewandten durchgesetzt zu haben, die leider den Mythos mit der Realität zu verwechseln scheinen. Wichtiger sollte wohl der Einstieg des neuen Präsidenten Kirchner sein, auf den Argentinien jetzt alle seine Hoffnungen setzen darf.


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