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    Digitale Bilderstürmerei?
 Medien – Kunst – 
    Erinnerung. Ein Essay.
 
 
 
 
 
  
 Text: 
    
    
    
    André Donk    
    Bild: Dimitar Tzankov
 
 
  
 Die 
    Digitalisierung von Informationen nimmt zu. Digitale Medientechnologien sind 
    aus unserem Alltag, unserer Lebenswirklichkeit nicht mehr wegzudenken: Die 
    Arbeit von Verwaltungen, Wirtschaft und Wissenschaft ist heute ohne Computer 
    und weltweite Rechnernetze nicht mehr zu leisten. Und auch das Kunstsystem 
    bedient sich spätestens seit der durch
  Nam 
    June Paik popularisierten Videokunst intensiv der jeweils 
    avancierten Medientechnologien. In den letzten Jahren jedoch häufen sich in 
    Medien wie Wissenschaft die Stimmen, die vor dem Verlust digitaler Daten und 
    damit vor der Gedächtnislosigkeit moderner Gesellschaften warnen: 
    
    "Ein Feuerleger ist heute gar nicht mehr nötig, 
    um das kulturelle Gedächtnis zu löschen, die Datenträger verglühen ganz von 
    allein", so die Kulturwissenschaftlerin  Aleida 
    Assmann 
    
    (  1).
    Die Fragilität von Hard- und Software des Computerzeitalters sowie 
    Schnelllebigkeit des Internet bedroht in diesem Szenario auch Medienkunst – 
    sie wird dem Vergessen anheim fallen, weil sie nicht überliefert werden 
    kann: Dateien sind unlesbar, können problemlos gelöscht werden, Computer und 
    ihre Programme veralten im Jahrestakt, viele Seiten im Netz bestehen nur 
    wenige Wochen und Monate. Die Prognose Assmanns ist eine düstere: "  Mit 
    der Materialität von Artefakten verschwindet aber weit mehr als die 
    geheimnisvolle Aura; mit ihr verschwinden Realität, Geschichte und 
    Gedächtnis." 
 
 Des 
    Königs neue Bilder – Aura und Gedächtnis
 
 Doch wie dem antizipierten Verlust entgehen? Dass auch traditionelle 
    Kunstwerke immer wieder restauriert werden, dass der Zahn der Zeit auch 
    unerbittlich an Ihnen nagt, haben wir in den letzten Jahrzehnten immer 
    wieder feststellen müssen. Von den Fresken der alten Meister über die 
    Gemälde und Skulpturen der Kunstheroen des 18. und 19 Jahrhunderts bis hin 
    zum Yves-Klein-Relief am Musiktheater Gelsenkirchen: Kunst muss, soll sie 
    ihren Platz im kulturellen Langzeitgedächtnis behalten, beständig 
    konserviert und repariert werden. Andernfalls vergeht sie. Schon König 
    Ludwig I. von Bayern war sich dieses Problems bewusst. Doch anstelle 
    beständiger Pflege suchte Ludwig sein Heil in einem sicheren Speichermedium, 
    das er im Porzellan zu finden glaubte. 1827 erteilte er daher den Auftrag, 
    "die Kopien der vorzüglichsten Bilder in Schmelzfarben für die Nachwelt zu 
    erhalten, wann endlich der Zahn der Zeit die Originale zerstört haben wird." 
    Zwar hatte Ludwig Recht: Porzellan war und ist in der Lage, Farben länger 
    als Leinwand originaltreu zu sichern. Dennoch blieb die Porzellanmalerei 
    eher eine Nischentechnik. Mit ihrem Aufkommen und ihrer Durchsetzung seit 
    Beginn des 20. Jahrhunderts nehmen die elektronischen Kommunikationsmedien 
    einen immer gewichtigeren Stellenwert in der Produktion und Distribution von 
    Kunst ein. Auch wenn Ambition wie Ausdruck der Kunst sich radikal 
    veränderten, der gesellschaftliche Anspruch an Kunst, dass sie einen Teil 
    des kulturellen Erbes darstelle und deshalb überlieferungswürdig sei und 
    überlieferungsfähig gehalten werden müsse, blieb bestehen. Das Konzept der 
    Aura von Kunst, das theoretisch an ihre Materialität gekoppelt wird, ist 
    eines des frühen 20. Jahrhunderts. Der mittlerweile zum Gemeinplatz eines 
    jeden Kulturkritikers verkommene Essay Walter Benjamins 'Das Kunstwerk im 
    Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit' ist sicherlich 
    eine Quelle, aus der sich diese Idee auch heute noch speist. Erschienen ist 
    Benjamins Abhandlung bereits 1936 in der von Theodor Adorno und Max 
    Horkheimer gegründeten Zeitschrift für Sozialforschung – dem damaligen 
    Zentralorgan kritischer, marxistischer Gesellschaftsanalyse.
 
 
 Medienkunst als Computerkunst
 
 Computerkunst ist keine Kunst des dauerhaften Erscheinens. Computerbilder 
    sind nichts als ein unsichtbarer – im digitalen Code abgespeicherter – 
    Datensatz, eine Datei auf der Festplatte 
    eines Computers oder einer CD-ROM. Sichtbar werden sie nur zu einem 
    bestimmten Zeitpunkt – im Moment ihrer Nutzung –, also erst mit dem Aufrufen 
    der Datei. Dieser Datensatz von Kunst ist den Computern inhärenten 
    Prinzipien von 'copy and paste' und 'erase and rewind' unterworfen, d.
    h. die 
    immateriellen Werkzeuge der Bildherstellung machen es zum Einen möglich, 
    verschiedene Elemente unterschiedlichster Ausgangsmaterialien zu komponieren 
    und auf eine Ebene zu reduzieren, sozusagen die materielle Sichtbarkeit der 
    Collage unsichtbar zu machen. Laurence Gartels Arbeiten verdeutlichen dieses 
    Prinzip. Gartel verwendet für seine Collagen Materialien wie Fotos, Stills 
    aus Videos oder Werbeanzeigen, digitalisiert dieses Material und verändert 
    es am Computer. Heraus kommen Collagen, die mit Inkjet- oder Laserdrucker 
    materialisiert werden und sich insofern von traditionellen Collagen nur in 
    dem Punkte unterscheiden, als dass die verwendeten Materialen nicht mehr in 
    der Collage vorkommen, sondern nur noch ihr Bild. Zum Anderen ermöglichen 
    jene Werkzeuge die permanente und integrale Veränderbarkeit des Bildes ohne 
    Zerstörung des Materials, wobei das potentielle Rückgängigmachen von 
    Arbeitsschritten die Experimentierf-reudigkeit der Künstler erhöhen kann.
 
 Jürgen Claus, einer der Pioniere der Computerkunst, analysiert die 
    Potentiale der Chippppkunst bereit 1985 sehr treffend – zu 
    einem Zeitpunkt, als die aktuellen Innovationen und Expansionen im Bereich 
    der Informations- und Kommunikationstechnologien der 1990er Jahre noch 
    Utopie waren: "Die ästhetischen Implikationen sind nicht minder 
    tiefgreifend. 
    Auf der rein formalistischen Ebene bedeutet das, dass ein Bild-Ereignis 
    nahezu unendlichen Veränderungen unterworfen werden kann, denn das 'Bild' 
    ist nur eine Matrix von Codes in einem Datenraum. Es bedeutet, dass jedes 
    beliebige Element eines Bildes nahtlos in ein anderes eingefügt werden kann, 
    ohne dass es als 'Effekt' erscheint." 
    
    (
  2). 
    Damit entstehen Kunstwerke, die nicht-endgültig, temporär und 
    nicht-ganzheitlich sind und deren Realisation oder Objektivation sich in 
    einer ständigen Schwebe zwischen Wirklichkeit und Möglichkeit befindet. 
    Gleichzeitig fällt folglich dort die Differenz von Original und Kopie, wo 
    jedes Werk unabgeschlossen bleiben muss, keinen Grad an Vervollkommnung 
    kennt und in unendlicher Zahl bei gleicher Qualität (re)produziert werden 
    kann 
    
    (  3).
    Um diese Form der Kunst wird man nicht bange sein müssen – sie hat es 
    in der Regel zur Materialisation im Ausdruck geschafft. Und auch im Internet 
    ist sie auf Seiten vertreten, deren schnelles abschalten nicht zu befürchten 
    ist, so z. B. in institutionalisierter Form im  Digital 
    Art Museum. Andere Formen von Medienkunst 
    allerdings sind flüchtiger. 
 
 Neue 
    Kommunikationstechnologien und Kunst –
 Neue Flüchtigkeit
 
 Das Aurakonzept von Kunst setzt ihre Ortsgebundenheit voraus: "Noch bei der 
    höchstvollendeten Reproduktion fällt eines aus: das Hier und Jetzt des 
    Kunstwerks – sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet."
 (
  4).
    Doch spätestens seit den 1950ern suchten immer mehr Künstler ihr Heil 
    in der Befreiung der Kunst aus der Umklammerung der Museen und Galerien. Es 
    gab Telefonkonzerte, Faxperformances und Satellitenkonferenzen, alles im 
    Hier und Jetzt, aber alles danach verrauscht. "  Alles 
    was nach ihrer Beendigung blieb, war die Erinnerung an sie und manchmal ein 
    paar unscharfe Fotos oder Computerausdrucke." 
    Für Netzkunst als künstlerische Inszenierung im Internet gilt ähnliches. Was 
    wird zum Beispiel aus den Werken der Gewinner des Prix Ars Electronica in 
    der Sparte 'Interactive Art'? Sie existieren nur im Moment ihrer Operation. 
    Oder wie kann sicher gestellt werden, dass jene Kunst auf CD-ROMs – 
    mittlerweile als feste Sparten auf den großen Kunstfestivals etabliert – 
    dauerhaft zugänglich bleiben? Letzteres ist eine Frage, die die Informatik 
    zu beantworten sucht: Datenmigration plus verbesserte Langzeitstabilität 
    lautet hier die Zauberformel. 
 Jenseits einer informationstechnologischen Lösung der Probleme im Umgang mit 
    Netz- und digitaler Kunst gibt es auch sozialwissenschaftliche Antworten. 
    denn neuen Formen von Kunst wird das Konzept des auratischen Kunstwerks und 
    dem damit verbundenen Anspruch überzeitlicher Dauer nicht gerecht. 
    
    Konkret: Digitale Medientechnologien
    werden verstanden als Teil eines umfassenden gesellschaftlichen 
    Transformationsprozesses, in dessen Folge Beschleunigung beobachtet werden 
    kann, die der Soziologe Zygmunt Baumann als das zentrale Charakteristikum 
    unserer Lebenswirklichkeiten herausarbeitet: "'Langfristige' Überlegungen 
    sind wenig vielversprechend. Während in der 'festen' Moderne ewige Dauer 
    Motiv und Prinzip des Handelns darstellten, ist in der flüchtigen' Moderne 
    diese Orientierung funktionslos. Das 'Kurzfristige' hat das 'Langfristige' 
    abgelöst, und Unmittelbarkeit ist zum ultimativen Ideal avanciert."
    
    
    (
  5). 
    
    Wenn Netzkunst also auch Fluxus ist, dann deshalb, 
    weil sie damit auf gesellschaftliche Entwicklungen reagiert und reflektiert. 
 Damit einher geht auch die Verabschiedung eines statischen hin zu einem 
    prozessualen Verständnis der Gedächtnis- und Erinnerungsfunktion von Medien. 
    So weist die Soziologin Elena Esposito darauf hin, dass 
    
    moderne Kommunikationsmedien Werkzeuge des Vergessens und nicht des 
    Erinnerns darstellten 
    
    (
  6). 
    Das System der Massenmedien dient in diesem Sinne der Bereitstellung einer 
    für alle Teilbereiche der Gesellschaft bekannten und akzeptablen, aktuellen 
    wie vergangenen Realität. Da aber tagtäglich aus einer Vielzahl von 
    Ereignissen immer wieder neu ausgewählt werden muss, besteht die 
    Hauptaufgabe darin, zu vergessen. Oder anders formuliert: Läge die 
    gesellschaftliche Funktion der modernen Massenmedien im Archivieren, gäbe es 
    keine ausreichenden Kapazitäten zum alltäglichen Operieren mehr. Der 
    Sozialphilosoph Niklas Luhmann hat das so formuliert: "Gedächtnis ist dabei 
    nicht zu verstehen als Speicher für vergangene Zustände oder Ereignisse. 
    Damit können die Medien [...] sich nicht belasten" 
    
    
    (  7). 
    Wir können die Eingangs aufgeworfene Frage, ob aktueller Medienkunst der 
    Verlust der Überlieferung droht, nun mit einem klaren 'Ja' und 'Nein' 
    beantworten. Ja, digitale Medientechnologien erweisen sich zur Zeit als 
    wenig stabil. Und nein, der antizipierte Verlust ist keine Bedrohung. Im 
    Gegenteil: Flüchtigkeit ist dem Wesen dieser Kunst inhärent. Wer also von 
    aktueller Medienkunst Überlieferung erwartet, versteht weder das System der 
    Gesellschaft noch das der Kunst noch das der Medien.  |  
 Ausgabe 
    52
 Kunstsommer
 
 
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    Literatur
 (1)
    Assmann, Aleida (2001): Das Archiv und die neuen Medien des 
    kulturellen Gedächtnisses. In: Stanitzek, Georg / Vosskamp, Wilhelm [Hrsg.]: 
    Schnittstelle. Medien und kulturelle Kommunikation, Köln: 268-281, hier: 
    276.
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 (2) Claus, Jürgen (1985): 
    Chippppkunst, Frankfurt a. M..: 33.
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 (3) Vgl. Rötzer, Florian 
    (1988): Technoimaginäres – Ende des Imaginären. In: Rötzer, Florian [Hrsg.]: 
    Ästhetik des Immateriellen. Zum Verhältnis von Kunst und neuen Technologien, 
    Teil 1. Kunstforum International Band 97, Köln: 64-74.
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 (4) Benjamin, Walter (2006, EA 1936): 
    Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technische Reproduzierbarkeit, Frankfurt 
    a. M..: 13.
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 (5) Vgl. Baumann, Zygmunt (2000): Flüchtige Moderne, 
    Frankfurt a. M..: 149.
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 (6) 
    Vgl. Esposito, 
    Elena (2002): Soziales Vergessen, Frankfurt a. M..: 
    263.
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 (7) Luhmann, Niklas (32004): 
    Die Realität der Massenmedien, Opladen: 76.
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