"ALTES EUROPA"

Politisches Branding


KOMMENTAR: MARIO VOIGT UND RALF GÜLDENZOPF
BILD: THE PENTAGON PRESSEFOTO



Washington, 22.1.2003. Fast genau fünf Jahre nachdem er in einem öffentlichen Brief an den damaligen Präsidenten Clinton als Vertreter des „Project for the New American Century“ die Absetzung des Saddam-Regimes forderte, trat Donald Rumsfeld vor die Presse: "Sie denken bei Europa an Deutschland und Frankreich. Ich nicht. Das ist das alte Europa. Wenn Sie sich heute NATO-Europa ansehen, dann verlagert sich der Schwerpunkt nach Osten." Diese Äußerung löste Befremden, Sympathiebekundungen und vor allem eine weltweite Kontroverse aus.

Noch heute, 100 Tage nach dem offiziellen Ende der Kampfhandlungen im Irak, wundern sich die politisch Blauäugigen, ob es sich bei dieser Aussage nur um einen  kommunikativen “Ausrutscher” oder vielmehr um eine bewusste Reizung in einer strategischen Medienkampagne handelte. Geht man davon aus, dass in der modernen Mediengesellschaft Politik auch der Kampf um Begriffe und Deutungshoheiten ist, dann verschwindet die zufällige Äußerung  hinter dem strategischen Kalkül. Oder anders gewendet: mag der Zeitpunkt und der Ort der Aussage eventuell nicht geplant gewesen sein, so spiegelt sie doch die „alte“ politische Geisteshaltung der „neuen“ US-Administration wider – eine Politik, die auf die Sicherung der amerikanischen Vorherrschaft in der Welt abzielt. 

Um dieses Ziel zu erreichen, bedarf es nicht nur der rationalen politischen Begründung, sondern auch einer moralische Legitimation des Handelns, innen- und außenpolitisch. Diese Notwendigkeit verschärft sich, wenn es um die konkrete Frage von Krieg und Frieden geht. Außenpolitik und Diplomatie haben sich von der klassischen Geheimdiplomatie a la Metternich zu einem Prozess quasi-transparenter Information und/oder Des-Information gewandelt. Es geht um Stimmungen, die öffentliche Meinung und den offenen Disput über Werthaltungen und Moral – „the hearts and minds“. Ein global Player kommt daher nicht umhin, sich der Wirkungsmechanismen der globalen Medien zu bedienen und Begriffe zu prägen.

Rumsfeld gab den europäischen Kritikern amerikanischer Irak-, aber auch UN-Politik nicht nur einen einprägsamen Namen, sondern charakterisierte eine Geisteshaltung. Das „alte Europa“ steht demnach für all die Staaten, die sich den neuen Herausforderungen nach dem 11. September nicht bewusst geworden sind.

Die Äußerung Rumsfelds passt in das Freund-Feind-Schema der USA und die Rhetorik bezüglich der „Coalition of the Willing“, welches im Hinblick auf außen-, aber auch innenpolitische Probleme angewandt wurde: Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns! Rumsfeld versuchte somit, das die Regierungen Deutschlands und Frankreichs politisch zu isolieren: Das „alte Europa“ mache weiterhin den großen Fehler in der Unterschätzung der neuen weltweiten terroristischen Gefahren; verbunden mit dem Vorwurf der Wiederauflage einer auf eigene Interessen gerichteten Appeasement-Politik gegenüber dem neuen Hitler – Saddam Hussein. Dagegen würde die amerikanische Entschlossenheit durch das neue Europa unterstützt, dem Erlebnis kollektiver Hilflosigkeit auch die aktive Anwendung der militärischen Überlegenheit entgegenzusetzen. Das neue Europa isst „Freedom Fries“.

Der Anspruch der USA als humanitärer Retter und globaler Befreier resultiert aus ihrem Status einer wirtschaftlichen, militärischen und deswegen auch politischen Supermacht, gepaart mit ihrem Selbstverständnis, Speerspitze der Demokratiebewegung zu sein. Daher empfinden es die USA als ihr Recht, im Notfall auch diese Politik allein durchzusetzen.

Gerade wegen des auch inneren Selbstverständnisses moralischer Hoheit mussten die USA den Kriegsgegnern in Europa mit Schärfe begegnen. Außenpolitisch war die Rhetorik der Amerikaner klar konfrontativ. Es ging darum, die eigene Koalition zu stärken – Europa politisch zu spalten. Die Anprangerung von missliebigen Positionen erhöhte den Entscheidungsdruck auf unentschiedene Länder, die bis dato nur zu Europas Peripherie gehörten. Zudem wurde klargemacht, dass es in Ordnung ist, sich in dieser Entscheidung gegen Deutschland und Frankreich zu stellen – war doch ein „neue“ politische Ära angebrochen. Zugleich verschärfte die US-Regierung bewusst die innerstaatlichen Konflikte ihrer europäischen Kritiker.

Diplomatische Vorbereitungen eines Krieges schließen auch immer eine global kommunizierte Überbetonung der eigenen Position bzw. die Unterminierung der Sicht potentiell resistenter Verbündeter mit ein. Es geht nicht nur um die moralische Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Gegner, sondern auch um einen „Infowar“ im Kampf um weltweite Stimmungen und die moralische Legitimation. Wenn Rumsfelds Äußerungen auch nicht zur Antwort auf die Frage, ob der Krieg generell schlecht, amoralisch ist (Frankreich, Deutschland) oder ob er im Interesse von Menschen notwendige Maßnahme der Politik sein kann (USA, GB) beigetragen hat, so erreichte sie doch mindestens eines: die dauerhafte Erweiterung der außenpolitischen Charakterisierung eines bestimmten Politikstils.

 

 

 


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